Wie ich über stromdurchflossene Stromleitungen kletterte
Auf meinen ersten Tag in der tansanischen Kindertagesstätte
freute ich mich sehr. Jeden Donnerstag volontiere ich dort. Im Vorfeld wurde
mir erklärt, dass Flora, die tansanische Leiterin der Kita, in Amerika studiert
hat und sie die Kinder bilingual unterrichtet, jedoch sehr betont, dass es eine
englische Kita ist… So viel zum gut klingeden theoretischen Konzept.
Beate holte mich ab und brachte mich am ersten Tag zur Kita
um mich vorzustellen. Doch schon der Hinweg wurde abenteuerlich. Da es nachts
sehr stark geregnet und gestürmt hatte, sind auf dem Grundstück der Kirche, auf
welchem sich auch das Gebäude der kleinen Kita befindet, zwei Strommasten
zusammengebrochen. Die ganzen Stromkabel lagen nun auf dem Boden und
versperrten komplett den Zugang zum Grundstück. Beate (sie lebt schon seit 20
Jahren in Tansania) meinte mutig: „Ach, das wurde bestimmt schon von den
Anwohnern gemeldet. Da fahren wir drüber.“ Ich, vorsichtig wie ich bin: „Ähhm…
ich trau dem nicht so ganz… ich glaube ich hüpfe lieber zwischen den
Drahtseilen durch – nur um sicher zu gehen… Die Afrikaner sind ja meist etwas
gemütlicher.. nicht, dass da noch Strom drauf ist.“ Wir parkten also das Auto
vor den gefallenen Strommasten und starteten unseren Balanceakt zwischen den
Stromleitungen hindurch um zur Kita zu gelangen. Die offene Ankunftsphase ist
zwischen 7.30 Uhr und 8.00 Uhr. Die ersten Kinder trudelten um kurz nach acht
ein, wie auch die Leiterin. Einigen kletterten nahe der Mauer unter den
Stromleitungen durch, andere hüpften drüber. Nachdem ich kurz vorgestellt wurde
und Beate wieder gefahren war meinte Flora, sie müsse die Stromfirma
kontaktieren um sicherzugehen, dass der Strom abgeschaltet sei. Die Antwort
schockierte mich total: „Nein! Bisher ging noch keine Meldung ein. Sie würden
sich demnächst (!) darum kümmern.“ Oh man… „Gut, dass mein Balanceakt geglückt
war“ dachte ich dankbar „sonst wäre ich jetzt wahrscheinlich gegrillt und kaum
noch am Leben!“ Ausgehend von meiner deutschen sicherheitsfanatischen Sichtweise
erwartete ich, dass nun großräumig das Gebiet um die Strommasten gesperrt
werden würde und die ankommenden Kinder mit ihren Eltern umgeleitet werden,
doch dem war nicht so. Gemütlich wurde der Raum gefegt und alles für den Tag
hergerichtet. Mir blieb fast das Herz stehen und ich konnte kaum hinschauen,
als die kleinen Kinder an der Hand ihrer Mama über die Strommasten hoppelten. Bin
ich dankbar, dass Keines einen Stromschlag bekam. Mit einer halben Stunde
Verspätung begann die Kita. 16 Kinder im Alter von 3-6 Jahren besuchen die
Tagesstätte. In Schuluniform und mit kleinem Rucksack bepackt wurden der Reihe
nach die Schuhe ausgezogen, ordentlich an die Wand gestellt und im
Schneidersitz in Reih und Glied auf der Bastmatte Platz genommen. „Wow, hier
geht’s geordnet zu“ dachte ich und nahm ebenfalls Platz. Wie ich schon vermutet
hatte ist die Arbeit mit Kindern sehr verschult. Kita bedeutet hier nicht:
Lernen im Freispiel mit anderen Kindern, individuelles Experimentieren und
Erforschen oder altersgestaffelte Angebote. In Tansania ist es eher:
allgemeines Auswendiglernen durch Nachsprechen und das in zahlreichen
Wiederholungen. Unbeachtet des Wissenstandes oder des Alters: Alle lernen zur
gleichen Zeit das Gleiche. Nach einem Lied und einer Vorstellungsrunde zum
Einstieg wurden die Zahlen gelernt. Nachdem die lange
wir-sprechen-alle-gemeinsam-im-Chor-Phase beendet war, mussten einzelne Kinder
aufstehen und wurden abgefragt. Konnten sie die Zahlen fast fehlerfrei zuordnen
wurde das Kind mit einem „Clap“ belohnt, d.h. alle Kinder singen „Good (name),
good (name), good (name) – your`re a very goody girl/boy“, klatschen dabei
einen Rhythmus und das Kind, welches gelobt wird wackelt währenddessen ganz
lustig mit der Hüfte. Danach darf es sich setzen und das nächste ist dran. Als
die Zahlen beendet waren gings ans Alphabet. Die gleiche Lernmethode wurde auch
hier angewandt. Währenddessen wurde sehr auf die Disziplin geachtet. Die ganze
Zeit mussten die Kinder im Schneidersitz ordentlich auf der Matte sitzen
bleiben.
Der wahrscheinlich keimreichste Tee meines Lebens
Während des Kita-Tages haben die Kids eine Tee-Pause um zu
frühstücken. Meist gibt es Maisbrei den sie aus ihren Bechern trinken oder
manchmal auch ein Butterbrot und Chai (Tee). In der zweiten Pause gibt es das
Mittagessen. Immer Reis – abwechselnd mit Bohnen oder Linsen.
An meinem ersten Tag als die Pause angekündigt wurde, fragte
ich, wie ich helfen könne. Die Mitarbeiterin gab mir einen großen Eimer und
einen Krug mit Wasser. Ich solle allen Kindern die Hände waschen, bevor sie ihr
Brot bekommen. Gute Idee, dachte ich. Auf dem Plumpsklo gibt es nämlich weder
Toilettenpapier, noch Wasser oder Seife. Zudem hatten schon einige ordentlich
im Dreck gespielt. Ich ging umher und goss mit dem Krug Wasser über die
Händchen der Kinder und fing das Abwasser mit dem Eimer auf (die Methode des
Händewaschens war mir schon aus Uganda vertraut). Nachdem auch die Mitarbeiter
die Hände sauber hatten, stellte ich den Eimer mit dem Abwasser in der Küche
ab, da ich nicht wusste, ob und wo ich es ausgießen sollte. Mir wurde ein Stuhl
und ein kleiner Tisch nach draußen gebracht und gastfreundlich wie die Tansanier
sind, wurde ich auch zu Tee und Butterbrot eingeladen. Ich weiß nicht, ob die
Mitarbeiterin meinen Blick bemerkte oder selbst über den ungespülten Zustand
der mir gebrachten Tasse schockiert war – auf jeden Fall entschuldigte sie sich
und ging die Tasse spülen. Ich dachte nur: „Hoffentlich spült sie für mich mit
gefiltertem oder abgekochtem Wasser – Nach 3 Tagen Tansania habe ich mich noch
nicht an die vielen Keime gewöhnt.“ Ich lugte hinter ihr her und was ich sah
zog sofort meinen Magen zusammen. Sie wusch die Tasse in dem Abwassereimer, IM
ABWASSER, das ich gesammelt und wohl am falschen Platz abgestellt hatte. Die
Tasse wurde zurück gebracht, doch aufgrund der mangelnden Englischkenntnisse
der Mitarbeiterin und meiner etwas unklaren und verspäten Reaktion wurde in die
klatsch nasse Abwassertasse der Tee randvoll eingefüllt. Zwei freundliche Gesichter
(Flora und Naomi, die Erzieherinnen) blickten mich erwartungsvoll an: „Probiere
unseren Tee! Magst du ihn? Herzlich willkommen bei uns in der Kita. Lass es dir
schmecken!“ „Oh nein. Zu spät! Der Tee war eingeschränkt, ich saß am gedeckten
Tisch, Gastfreundschaft ist oberstes Gebot hier, es ist dein erster Tag,
verscherze es dir nicht, du darfst nicht verlangen den Tee wegschütten zu
lassen, unauffällig verschwinden geht auch nicht, alle 16 Kinder starren dich
als Weise ununterbrochen an und die Mitarbeiter tuen es ihnen nach….“
Alle Unterrichtstunden liefen nach dem gleichen Grundmuster
ab: Vorsprechen, Nachsprechen, Einzelabfrage. Nach dem Lunch wurden alle Kinder
auf Toilette geschickt und danach mussten sie in Reih und Glied zum
Mittagsschlaf. Hierfür wurde in die Mitte des Raumes eine kleine
Schaumstoffmatratze als Kopfkissen gelegt und ringsherum lagen die Kinder zum
Mittagschlaf. Auch die Großen mussten schlafen. Nach dem Mittagsschlaf, so
gegen 15.00 Uhr werden die Kids abgeholt.
Meine erste Unterrichtsstunde
Abschließend habe ich noch die Körperteile auf Englisch mit
ihnen geübt und einen Bewegungssong mit ihnen gesungen. Da haben sie richtig
Freude dran gehabt. :-)