Freitag, 17. Mai 2013

Meine Arbeit im Nuru Center


Eine Werkstatt für Taub-Stumme und Erwachsene mit einer körperlichen Behinderung

Gleich am ersten Vormittag nach unserer Ankunft ging es mit unseren Aufgaben los. Beate, unsere deutsche Ansprechpartnerin, holte mich (Steffi) ab und brachte mich zu Laura, einer Engländerin und Gunborg, einer Finnin, welche im Nuru-Center arbeiten. Noch ziemlich müde von der schlaflosen Nacht im Flugzeug und der ersten Nacht in Dar es Salaam (die „Dschungelgeräusche“ sind wirklich wahnsinnig laut) probierte ich meine Englischkenntnisse heraus zu kramen um schon mal die wichtigsten Informationen über die Werkstatt zu erfahren. Da es ziemlich heftig regnete, war so viel Verkehr, dass wir für den Weg statt 15 Minuten 2 Stunden brauchten!! Der Verkehr ist total chaotisch. Ich habe noch keinerlei Regelungen erkennen können. Zudem habe ich bisher keine einzige Ampel, keine Straßenmarkierung und kein einziges Straßenschild gesehen! Ich glaube, wer drängelt gewinnt lautet das Motto und das schafft Stau ohne Ende. Doch kurz nach 11 Uhr erreichten wir die Werkstatt. Ich war total aufgeregt und etwas mulmig war mir auch zumute, weil ich bisher so gut wie keine Erfahrung mit Menschen mit einer Behinderung gemacht habe. Zudem beherrsche ich keine Gebärdensprache (diese variiert von Land zu Land, zum Teil sogar von Bundesland zu Bundesland sehr stark, sodass mir abgeraten wurde, im Vorfeld einen deutschen Gebärdensprachenkurs zu besuchen).
Hier ein kleiner Eindruck vom Center:
 



Ca. 8 junge Erwachsene Taub-Stumme und ca. 4 Erwachsene mit einer körperlichen Beeinträchtigung arbeiten im Center. Zwei Personen sind vorwiegend in der kleinen Bäckerei beschäftigt und backen Brot, Brötchen, Pizza etc. und verkaufen diese. In dem direkt angliedernden Raum befindet sich die Werkstatt mit ca. 10 Arbeitsplätzen. Dort werden Perlen angefertigt und zu Schmuck verarbeitet, kleine Täschchen und Armbänder genäht, Bilderrahmen gebastelt und verziert, Holzarbeiten angefertigt und aus Bananenblättern Postkarten gebastelt.
 

Ich wurde sehr freundlich begrüßt und liebevoll aufgenommen. Laura stellte mich jedem Taub-Stummen einzeln vor. Für ein Gespräch müssen sie jedes Mal ihre Arbeit komplett unterbrechen, da sie ihren ganzen Körper zum Kommunizieren einsetzen. Mir wurde gleich das Plakat mit dem Handalphabet gezeigt, mit dessen Hilfe ich meinen Namen buchstabieren konnte.
 



Für den ersten Tag in Tansania war es herausfordernd: Gleich mit vier verschiedenen Sprachen an einem Tag zu kommunizieren. Ich selbst denke auf deutsch, dann wurde mir aus dem Kisuaheli ins Englische übersetzt und ich lernte die Kisuaheli Gebärdensprache. Die wichtigsten Begrüßungsfloskeln wurden mir beigebracht. Für mich war es anfangs gar nicht leicht, meine Finger in die richtige Position zu biegen und ich glaube, kleine Abweichungen ergeben schon wieder einen anderen Sinn. Doch sie nahmen dann öfter meine Hände und Arme und bogen alles in die richtige Richtung, damit ich ihre Sprache lernen kann. Eine Taub-Stumme hat mich ständig liebevoll ausgeschimpft, da ich irgendwie instinktiv alles mit der linken Hand machen wollte. Die linke Hand ist jedoch in Tansania unrein und daher sollte man aufpassen, dass man immer die Rechte oder wenn, dann beide Hände gleichzeitig benutzt (auch zum Übergeben und Empfangen von Gegenständen etc.).
Gerne hätte ich am ersten Tag viel mehr kommuniziert, aber es war so schwer und man fühlt sich so hilflos, wenn sie es nicht verstehen und ich ihre Gesten völlig falsch interpretiere. Aber ich bin sehr dankbar, dass sie viel Geduld mit mir haben. Einer kann sogar Englisch sprechen. Da war ich total baff. Er hat sein Gehör durch eine zu stark dosierte Malariabehandlung verloren und wurde erst im Schulalter taub. Andere sind sehr früh taub geworden und haben Angst, ihre Stimme zu benutzten und schweigen schon seit vielen Jahren. Wiederum andere geben Laute von sich. Manchmal sind diese recht laut, was mich anfangs sehr irritierte. Ich dachte öfter, im Nebenzimmer ruft jemand oder manchmal hat es sich angehört, als hätte jemand starke Schmerzen. Ich war sehr verwundert, dass keiner der beiden Betreuerinnen reagierte, bis ich merkte, dass die zwei Taub-Stummen beim Backen ganz vergnügt miteinander zusätzlich in Lauten kommunizieren, auch wenn sie es selbst nicht hören können.
Da es viel Zeit kostet, Namen einzeln mit dem Handalphabet zu buchstabieren, haben alle Personen zusätzlich zu ihrem Namen eine individuelle Handbewegung. Meist ein charakteristisches Merkmal. Ein Mädel hat einen etwas breiteren Unterkiefer. Legt man nun die Finger an den Unterkiefer, weiß man, dass von ihr die Rede ist. Eine Mitarbeiterin ist Brillenträgerin und hat eine typische Handbewegung, wie sie sich die Bille absetzt und dann auf der Nase den Schweiß abwischt. Sie ist sehr unglücklich, dass dies ihr Gebärdensprachen-Name geworden ist, doch nun hat es sich schon eingebürgert.
Meine Aufgabe beim ersten Besuch war es, zwei Taub-Stumme bei den Bastelarbeiten von den Bilderrahmen zu betreuen. Einiges war nicht so exakt oder falsch zusammengeklebt und musste korrigiert werden. Munter bastelten wir vor uns hin, bis auf einmal die ganze Gruppe wild miteinander diskutierte. Laura und Gunborg schienen das Gespräch zu verstehen, übersetzten die Gebärden aber nicht für mich ins Englische. Also schaute ich ihnen mit Bewunderung zu. Wahnsinn, wie sie als Gruppe miteinander gebärden. Ich verstand nichts. Aber alle schienen zu kapieren worum es ging. Auf einmal, als sie sich einig schienen wurde ich eingeweiht. Sie hatten ein Zeichen bzw. einen Gebärdennamen für mich gefunden. An meinem rechten Ohr habe ich drei Ohrstecker. Sehr untypisch für Tansania. Das ist ihnen wohl sofort als charakteristisches Merkmal aufgefallen.
Also so heiße ich nun auf Gebärdensprache: 3 Finger ans rechte Ohr legen! Und jeder dort im Center weiß, von wem die Rede ist. :-)
In der zweiten Woche hat eine Mitarbeiterin Erdnüsse für alle mitgebracht. Diese wurden mit großer Freude gegessen. Ich saß an meinen Bastelarbeiten und wurde nach einiger Zeit schon etwas genervt und dachte nur: „Wie können die nur so laut Schmatzen!“ Doch im selben Moment wurde mir wieder klar, dass es all die anderen im Raum ja gar nicht hören und sie selber ja nicht wissen können, welche Geräusche von ihnen ausgehen! :-)
Nun bin ich schon seit 3 Wochen, jeweils an Dienstagen in der Werkstatt. Und ich muss sagen, jetzt bei meinem 3. Besuch hat es schon super mit den Gebärden geklappt. Diese Woche war die Kommunikation schon richtig gut. Vieles habe ich auf Anhieb verstanden und ich selber habe gemerkt, ich „spiele Pantomime“ und sie verstehen mich. Auch wenn es nicht die „richtigen“ Gebärden sind, klappt es. :-) Sehr faszinierend. Auch freuen sie sich, dass ich mir einiges behalten habe und es richtig anwende.
Diese Woche war meine Aufgabe Sima das Flip-Flop besticken beizubringen. Und es hat geklappt! Ohne Worte und ohne Gebärdenübersetzerin haben wir Zwei uns verständigt und gemeinsam ein Paar Flip Flops hergestellt. :-)
Diese großen Perlen auf den Flip-Flops wurden aus Papier angefertigt. Damit sie wasserdicht sind, werden sie zweifach lackiert. Anschließend hat mich ein Taub-Stummer zum Perlen-Lackieren mitgenommen und mir alles erklärt. Auch die Anleitung zum Lackieren hat ohne Worte geklappt.



Obwohl ich anfangs Bedenken hatte wie die Arbeit wohl sein würde und wie ich mit den Gebärden und körperlich behinderten Menschen zu Recht kommen würde, muss ich sagen, bin ich von Herzen dankbar, dass ich dort „ins kalte Wasser“ geschmissen wurde und diese Aufgabe für mich ausgewählt wurde. Von mir aus hätte ich es wahrscheinlich nicht gewählt. Inzwischen ist aber der Dienstag sogar mein Lieblingstag geworden. Ich mag die Künstler (das klingt irgendwie netter :-) ) in der Werkstatt und es macht mir total Spaß dort zu sein!


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen